Börse und Glücksspiel – Was können Trader von Spielcasinos lernen? - Roland Ullrich
Gier
Gier – Die Biologie des Verlangens
6. April 2021
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Gier – Die Biologie des Verlangens
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Börse und Glücksspiel – Was können Trader von Spielcasinos lernen?

Die Börse gleicht einem Spielcasino, sagt der Volksmund. Die Achterbahn-Fahrten an den Märkten sind mit Verstand kaum nachzuvollziehen. Es ist reines Glück und Zufall, ob man reich wird. Du kannst alles verlieren, egal ob beim Roulette, Black Jack oder an der Börse. Gerade bei gehebelten Derivaten droht schnell der Totalverlust, wenn Du falsch liegst.

Die Jugend zockt fleißig mit dank kostengünstiger Trading-Apps. Gier und der Traum von schnell verdientem Geld auf dem Smartphone lassen die Risiken vergessen. Finanzbildung ist kaum vorhanden, so dass der Jugendboom an Börse auch viele Verlierer hervorbringen wird. Trading-Apps sind kein Computerspiel.

Aber ist Trading nun Glücksspiel? Sind Trader geldgierige Spekulanten? Ist die Börse ein Zockerparadies? Andersherum wird ein Schuh daraus: Trader und Anleger können sehr viel lernen, wenn sie aus der Perspektive einer Spielbank handeln.

Spielfelder für Glücksritter und Zocker?

Zugegeben: Es gibt Ähnlichkeiten zwischen dem Glücksspiel im Casino und dem kurzfristigen Börsenhandel. Wir setzen eigenes Geld ein, um es zu mehren. Es gibt keine Garantie. Der Ausgang jedes einzelnen Trades und jedes einzelnen Spiels ist ungewiss und nicht vorhersehbar. Geht die Wette auf und Du liegst richtig, winken hohe Gewinne. Je höher das Risiko, desto größer ist auch der mögliche Gewinn. Liegst Du daneben, verlierst Du den gesamten Einsatz. Dieser Nervenkitzel gehört beim Gambling offenbar dazu. Der Zeithorizont ist sehr kurz, der schnelle Gewinn und der Adrenalinkick für wenige Stunden sind die Treiber. Auch sehr kurzfristig orientierte Marktakteure wie die Scalper und Daytrader halten eine Vielzahl von Positionen in der Regel für wenige Stunden oder sogar nur Minuten.

Im Casino geht es immer um das nächste Spiel. Das Ergebnis steht fest, wenn die Würfel gefallen sind. Das Spiel ist vorbei. Ein neues Spiel beginnt. Trader hingegen handeln auf unterschiedlichen Zeitebenen und managen das Risiko ihrer Positionen im Zeitablauf. Die Spielzeit geht unter Umständen weit über den Spieltag hinaus. Die Haltedauer ist individuell und frei wählbar. Regelbasiertes Trading hat mit Glücksspiel wenig zu tun.

Das Erfolgsgeheimnis der Spielcasinos

Sehr viel spannender ist eine ganz andere Betrachtungsweise: Für Trader lohnt sich der Blick ins Spielcasino. Genau gesagt, der Blick in die Karten der Spielbank. Entscheidend ist der Wechsel der Perspektive vom Spieler zum Casino-Betreiber. Denn am Ende des Tages gewinnt immer die Bank, wie der Volksmund auch weiß.

Warum ist das so? Ganz einfach: Weil die Betreiber die Mathematik und das Spiel mit Wahrscheinlichkeiten hervorragend beherrschen. Am Roulette-Tisch zum Beispiel befinden sich auf der drehbaren Scheibe 36 abwechselnd rote und schwarze Nummernfächer sowie ein weiteres grün gekennzeichnetes Fach für die Zahl Null. Diese Null sichert dem Casino seinen Bankvorteil. Es ist mitnichten so, dass die Chancen für die Spieler bei 50:50 stehen, egal ob sie auf rot oder schwarz setzen. Fällt die Roulettekugel auf die Zahl Null, verlieren unweigerlich alle, ausgenommen diejenigen natürlich, die auf Null gesetzt haben. Tatsächlich stehen die Gewinnchancen der Spieler bei 48,6%, die des Casinos bei 51,4%. Das „Haus“ hat durch die grüne Null einen kleinen statistischen Vorteil zu seinen Gunsten. In den USA ist der Bankvorteil sogar noch größer als beim Roulette in Europa, da es zusätzlich noch eine Doppel-Null gibt.

Das Gesetz der großen Zahlen

Je häufiger gespielt wird, desto näher kommt die Spielbank dem ermittelten Erwartungswert. Hier wirkt das Gesetz der großen Zahlen. Der statistische Vorteil macht sich am Ende des Abends nach Hunderten von Spielen bemerkbar. Das Casino gewinnt. Das Nachsehen haben die Spieler, die immer nur auf das nächste Spiel starren und die Wahrscheinlichkeitsverteilung nicht kennen. Das Gesetz der großen Zahlen gilt für alle Glücksspiele, egal ob Roulette, Karten- oder Würfelspiele.

Was lernen Trader daraus? Es kommt nicht auf den nächsten Trade an, sondern auf die Summe aller Trades am Ende des Tages. Das ist die Perspektive der Spielbank. Ein Paradigmenwechsel an der Börse? Erfolgreiche Trader wissen, dass der Ausgang des nächsten Trades weder vorhersehbar noch wichtig ist. Sie konzentrieren sich auf die Umsetzung einer Handelsstrategie mit positivem Erwartungswert.

Beim Kartenspiel Black Jack haben die Spieler diesen Nachteil auch, weil die Spielregeln so ausgelegt sind, dass das „Haus“ einen kleinen Vorteil hat. Wer sich allerdings merken kann, welche Karten bereits gefallen sind, kann seine Gewinnwahrscheinlichkeit berechnen. Das hat mit Zocken nichts zu tun, sondern mit der kognitiven Fähigkeit, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen, der nach einer ausreichenden Anzahl von Spielen zur Geltung kommt. Die Casino-Betreiber mögen diese Gedächtnisleistungen allerdings gar nicht und komplimentieren Profispieler gerne aus dem Haus heraus.

Übrigens werden in den großen Casinos von Las Vegas die Spieltische permanent überwacht und die Anzahl der Gewinne und Verluste notiert. Sollte die gemessene Wahrscheinlichkeit zu stark vom Erwartungswert abweichen, werden die Würfel oder Karten ausgetauscht. Sicher ist sicher.

Die unterschätzte Gefahr von Verlustserien

Zurück zum Roulette-Tisch: Es ist reiner Zufall, ob beim nächsten Spiel die Kugel auf schwarz oder rot fällt. Selbst wenn dreimal hintereinander schwarz gekommen ist, heißt das noch lange nicht, dass es beim nächsten Mal rot wird. Die einzelnen Spiele sind nicht korreliert, d.h. es sind voneinander unabhängige Zufallsereignisse. Es gibt kein Gesetz des Ausgleichs, das besagt, wann der „Rückstand“ aufgeholt wird.

Viele Spieler lassen sich davon gerne in die Irre führen. Das gilt auch für Trader, die fest davon überzeugt sind, dass nach drei Verlusttrades hintereinander endlich ein Gewinntrade kommen muss und Kopf und Kragen riskieren. Die empirische Wahrheit ist, dass vier Verlusttrades in Folge mit einer Wahrscheinlichkeit von 6,25% auftreten (Voraussetzung ist eine Handelsstrategie mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 50%). Der Vieltrader muss immer mit Verlustserien rechnen. Das ist keine Verschwörung, sondern einfache Finanzmathematik. Deshalb sind Money- und Risikomanagement so wichtig.

Table Limits als Risikomanagement Tool

Spiele mit positivem Erwartungswert und Obergrenzen für Spieleinsätze garantieren der Bank einen Vorteil. Die Begrenzung der Spieleinsätze ist wichtig, weil ansonsten einzelne vermögende Spieler, die alles auf eine Karte setzen, mit Glück hohe Gewinne machen könnten und das Casino so in den Ruin treiben würden. Indem das Casino die Spieler zwingt, vergleichsweise kleine Summen einzusetzen, haben die Spieler einen Anreiz möglichst viele Spiele zu machen. Damit kann sich der statistische Vorteil der Bank durchsetzen.

Was für die Spielbank Table Limits sind, ist für den Trader das Money- und Risikomanagement. Die Begrenzung von Positionsgrößen und eine Verlustbegrenzung auf 1-2% des Trading-Kapitals sind wichtige Grundregeln im Trading. Der Depotschutz hat immer oberste Priorität.

Planloses Trading ist Glücksspiel mit negativem Erwartungswert

Daytrading ist ein Glücksspiel, wenn Du keinen Plan und keine erprobte Strategie hast. Die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Trade ein Gewinner wird, liegt bei 50%. Damit bist Du vom Zufall abhängig. Dann ist Börse Spekulation. Ohne Regelwerk hast Du zudem einen statistischen Nachteil an der Börse. Beim Roulette verschiebt die grüne Null die Gewinnaussichten zu Deinen Ungunsten, beim Trading sind es Handelsgebühren, Spreads (Geld- Brief-Spannen) sowie mitunter schlechte Ausführungen. Das ist keine gute Ausgangsposition, um an der Börse Geld zu verdienen.

Traden wie eine Spielbank – Ein erfolgserprobtes Geschäftsmodell

Im Gegensatz zu den Spielern sind Casinos nicht vom Glück abhängig. Sie haben ein nüchtern kalkuliertes Geschäftsmodell, das sogenannte Casino-Paradigma. Das „Haus“ hat immer einen statistischen Vorteil, der sich mit der Zeit bezahlt macht. Egal, ob einzelne Spieler zwischenzeitlich hohe Gewinne machen, die Spielbank bleibt davon unbeeindruckt und greift nicht ein.

Damit Du als Trader nicht von Glück und Zufall an der Börse abhängig bist, gilt es professionell zu agieren wie eine Spielbank. Und genauso diszipliniert. Das heißt, in Wahrscheinlichkeiten zu denken und eine Handelsstrategie mit positivem Erwartungswert konsequent umzusetzen. Das ist das Erfolgsgeheimnis professioneller Trader. Richard L. Weissman bringt es in seinem Buch „Trade like a Casino“ auf den Punkt:

„It has nothing to do with luck or pessimism or displeasing the trading gods. As financial mathematicians like to say, “It’s not magic. It’s just math“. Play the odds, manage the risk, and you succeed. Fight the odds or be lax in managing the risk and you will fail.”

Das Casino-Paradigma aus der Trading-Perspektive

Wie kann es sein, dass ein Casino konsistente Gewinne produziert mit Glücksspielen, deren einzelne Ergebnisse völlig unabhängig voneinander sind und zudem rein zufällig? Gleichzeitig sind die meisten Trader fest davon überzeugt, dass die Marktentwicklung kein Zufallsprodukt ist, sondern prognostizierbar. Konsistente Gewinne erzielen sie mit dieser Überzeugung allerdings nicht, wie die Realität zeigt. Was die meisten Trader nicht verstehen wollen, erklärt Mark Douglas in seinem Buch „Trading in the Zone“ wie folgt:

„Events that have probable outcomes can produce consistent results, if you can get the odds in your favor and there is a large enough sample size of events. The best traders treat trading like a numbers game, similar to the way in which casinos and professional gamblers approach gambling.”

So paradox es klingt: Die Häufigkeit, mit der ein Zufallsereignis eintritt, nähert sich seiner rechnerischen Wahrscheinlichkeit immer weiter an, je häufiger es durchgeführt wird. Die besten Trader verstehen Trading als ein Spiel mit Zahlen und Wahrscheinlichkeiten, ähnlich wie professionelle Spieler und Casino-Betreiber.

Der Ausgang eines einzelnen Trades ist zufallsbedingt, die Verteilung der Gewinn- und Verlusttrades ist zufällig und nicht vorhersehbar. Erst auf aggregierter Ebene, also nach einer genügend großen Anzahl von Trades, kommt der statistische Vorteil zur Geltung. Eine erfolgserprobte Handelsstrategie, die regelkonform umgesetzt wird, liefert über die Zeit konsistente und vorhersehbare Resultate. Bleibt der Erfolg aus, haben sich offensichtlich die Parameter verändert und die Strategie muss angepasst werden.

Logisches Kalkül statt Spekulation: Der Paradigmenwechsel im Trading

Es ist die Fähigkeit, die Unvorhersehbarkeit des Spiels auf der Mikroebene zu verstehen und gleichzeitig an die Vorhersehbarkeit der Spiele auf der Makroebene zu glauben. Das macht die Profi-Trader und Casino-Betreiber so erfolgreich, resümiert Mark Douglas. Weil jedes Spiel einzigartig ist, macht es keinen Sinn, einzelne Ergebnisse vorhersagen zu wollen. Erfahrene Trader haben gelernt zu akzeptieren, dass der Ausgang des nächsten Trades immer ungewiss ist. Und sie müssen es auch nicht wissen, um erfolgreich zu sein. Die Summe aller Trades entscheidet über die Profitabilität der Handelsstrategie, nicht der einzelne Trade. Wer das verinnerlicht hat, wird sich auch nicht mit einzelnen Verlusten identifizieren oder Verluste persönlich nehmen. Die besten Trader haben die Selbstdisziplin und das Vertrauen in die eigene Handelsstrategie und gleichzeitig die Gewissheit, dass der nächste Trade immer einen Verlust bringen kann. Das emotionale Gleichgewicht bleibt gewahrt. Richard L. Weissman schreibt dazu sehr treffend:

„Any idiot can take a profit; professionals know how to take losses. Professional traders consistently embody a disciplined mindset toward losing that enables them to dissociate the outcome of a single trade or even multiple consecutive losing trades from their self-image as traders. They have reprogrammed themselves away from the self-destructive delusional belief that they are their trades.”

Merke: Trading aus der Perspektive einer Spielbank macht den entscheidenden Unterschied. Erfahrene Trader denken in Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerten. Sie versuchen erst gar nicht, den Markt vorherzusagen. Sie rechnen ihre Chancen aus und spekulieren nicht. Es ist ein Zahlenspiel, das keine Gesetzmäßigkeiten kennt. Der nächste Trade ist immer nur einer von vielen. Alles was zählt ist die disziplinierte Umsetzung einer bewährten Handelsstrategie über einen längeren Zeitraum.


„We need to train ourselves to trade like the casino, adhering to the probabilities and managing the risk 24 hours a day, seven days a week, 365 days a year. That is unwavering discipline, and that level of consistency is the prerequisite for successful speculation.” (Richard L. Weissman)

1 Comment

  1. PumPum sagt:

    Die Wahrscheinlichkeit eines planlosen Trades ist mit dem Wetten an einem Roulette Tisch vergleichbar. Und da ist die Wahrscheinlichkeit auch nicht 50% sondern weniger … sonst wäre es ja nicht lohnenswert für die Casinos. Man stelle sich die 0 beim Roulette als den Spread und die Brokergebühren vor. Die meisten setzen auf Rot und Schwarz, genauso wie andere auf steigende oder fallende Kurse wetten. Kommt der Ball auf die 0, sind die Einsätze der Spieler die auf die höchste wahrscheinlichkeit gewettet haben (Rot und Schwarz) weg. Das ist die Gebühr. Also unabhängig davon ob man durchweg Profitabel ist beim Trading oder nicht, der Erwartungswert, unabhängig von der Strategie, ist derselbe ODER GERINGER als beim Roulette, da man selber seinen Verlust und seinen Gewinn durch den Ausstieg aus dem Trade bestimmt. Beim Roulette ist dieser Wert eindeutig, weil man mit festen Gewinnregeln spielt. Das Edge beim trading ist unbestimmt, da jeder Trader selbst seinen Ausstigszeitpunkt für einen Trade bestimmt. Würde man Glück und Pech als Faktoren auslassen würde man statistisch gesehen im Casino sogar besser wegkommen als beim Traden. Deswegen verlieren 96% aller Kleinanleger ihr Geld damit. Fazit: Es ist nicht der Markt, der die Wahrscheinlichkeit bestimmt, sondern die Gebühr.

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